Die drei Wertheraner Schulleiterinnen berichten von fehlenden Räumen, fehlenden Mitteln und fehlenden Sonderpädagogen

Inklusion stößt an ihre Grenzen

Inklusion stößt an ihre Grenzen

VON ANJA HANNEFORTH  – Werther. Die räumlichen Möglichkeiten begrenzt, die finanziellen Mittel ebenfalls, und oft keine, schon gar keine ausreichende Zahl an Sonderpädagogen in Sicht: Das Thema Inklusion an den drei Wertheraner Schulen ist nach Aussage der drei Schulleiterinnen alles andere als gelöst. Vom Land NRW gesetzlich verankert, fehlt es vor allem an den beiden weiterführenden Schulen an zahlreichen Ecken und Enden. „Wir stehen vor einer riesengroßen Aufgabe“, sagen sie, fühlen sich aber in vielen Bereichen allein gelassen und ohne die nötige Unterstützung.

Dabei wollen Katja Kleinemas von der Grundschule, Rosi Heinrich von der Gesamtschule und Barbara Erdmeier vom Gymnasium keineswegs alles schlecht reden, wie sie in der jüngsten Sitzung des Schulausschusses betonen. Die Schulleiterinnen erzählen auch von guten Erfahrungen, die sie gemacht haben, und engagierten Kollegen, „ohne die wir das alles gar nicht stemmen könnten“, wie sie hervorheben.

Doch es wird deutlich, dass das Gros der Pädagogen mit dem Abschluss ihres Lehramtsstudiums nicht darauf vorbereitet wurde, was mit der Inklusion auf sie zukommt: der Umgang mit Kindern nämlich, die unter Angststörungen leiden, unter Depressionen, die Förderbedarfe im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung haben, in ihrem Lern- und Leistungsvermögen eingeschränkt sind oder in ihrer geistigen Entwicklung. Sie in einer Regelschule zu beschulen ist nicht nur für die Kinder neu – sondern eben auch für die Lehrer. Und es bedarf eines sonderpädagogischen Wissens, das viele von ihnen nicht haben und sich erst durch Fortbildung aneignen müssen.

Insgesamt, so formuliert es Bodo Brinkmann (SPD), klafften beim Thema Inklusion die Erwartungen der Öffentlichkeit und die faktischen Gegebenheiten weit auseinander.

Grundschule Werther

Katja Kleinemas war die Erste, die im Ausschuss von ihren Erfahrungen mit Inklusionskindern berichtete. „Wir haben drei Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf“, erzählt sie. Zwei Kinder hätten eine emotional soziale Entwicklungsstörung, das dritte Kind sei körperbehindert. Alle drei seien gut integriert, würden von den übrigen Kindern gut angenommen. Auch von den Eltern erhielte sie die Rückmeldung, dass ihre Kinder gern zur Schule gehen. Allerdings gebe es immer wieder Situationen, wo die Kinder, aber auch die Pädagogen an ihre Grenzen stoßen würden. Einen festen Sonderpädagogen gebe es an der Schule nicht, lediglich zwei Sonderpädagogen, die für je drei Stunden in der Woche an die Grundschule kämen, „im Grunde müssen wir alles aus eigenen Ressourcen regeln“. Und das sei schlecht. „An unsere Lehrkräfte werden extreme Anforderungen gestellt“, wünscht sich Kleinemas unbedingt Hilfe im sonderpädagogischen Bereich. Ihr Fazit: An der Grundschule läuft es bisher gut, aber nur, weil es engagierte Kollegen gibt und drei Kinder einen überschaubaren Förderbedarf darstellen.

Böckstiegel-Gesamtschule

Rosi Heinrich ist die Schulleiterin mit der meisten Erfahrung im Bereich Inklusion. Im dritten Jahr gibt es inzwischen integrative Lerngruppen an der Gesamtschule, 16 Kinder mit Förderbedarf wurden allein im Jahrgang fünf aufgenommen. Zum ersten Mal wurden an den Standorten Werther und Borgholzhausen zusammen acht Parallelklassen gebildet, und hier fangen die Probleme bereits an: „Wir platzen aus allen Nähten“, schildert Heinrich. Damit Inklusion in Werther überhaupt funktioniere, sei ein Lerncontainer angemietet worden, in dem ein Klassen- und ein Differenzierungsraum untergebracht sind. „Natürlich haben wir immer den großen Schüler rückgang in drei, vier Jahren im Hinterkopf“, sagt sie. Gewaltige bauliche Umbauten lohnten sich also nicht.

Vier Sonderpädagogen kümmerten sich an der Gesamtschule um die Inklusionskinder, deren Bedarfe ganz unterschiedlich seien: Welche seien in ihrer geistigen Entwicklung zurück, andere im sozial- emotionalen Bereich, noch andere im Bereich Lernen. Dazu gebe es in Werther drei weitere Kinder mit Einzelintegration, um die sich die Sonderpädagogen kümmern müssten. „Vieles funktioniert gut, fast alles ist für uns neu, wir müssen erst unsere Erfahrungen sammeln“, schildert Rosi Heinrich und spricht von einer „ungeheuren Umstellung“. Vor allem, da Kollegen von jetzt auf gleich allein vor einer Inklusionsklasse stünden und individuelle Lernmaterialien zur Verfügung stellen müssten –„eine enorme Aufgabe“, so Heinrich.

Evangelisches Gymnasium

Barbara Erdmeier kann viele Dinge, die Rosi Heinrich geschildert hat, unterstreichen. Vier Kinder mit Förderbedarf besuchen derzeit das Gymnasium. Und wie die Gesamtschule ist es, was den Platz angeht, nicht für Inklusionsklassen ausgelegt. „Im Jahrgang fünf haben wir drei Klassen à30 Schüler. Inklusive Förderung, wie vom Land gewünscht, geht an unserer Schule einfach nicht.“ Und das sei keine Frage der Einstellung, sondern der Ausstattung.

„Grundsätzlich stehen meine Kollegen der Inklusion positiv gegenüber. Alle haben den humanitären Anspruch, diesen Kindern gerecht zu werden. Und es tut ihnen weh, wenn sie dies nicht können.“ Doch solange das Schüler-Lehrer-Verhältnis so sei, wie es sei, und Schulen in privater Trägerschaft keinen Anspruch auf einen Sonderpädagogen hätten, sehe sie keinen Ausweg.

Am Gymnasium kämen zwei Sonderpädagogen mit wenigen Stunden pro Woche an die Schule –„ein Tropfen auf den heißen Stein“. Denn am Ende müsse man die Situation auch unter den Fragestellungen betrachten: Werden wir dem Kind gerecht? Werden wir den anderen Kindern in der Klasse gerecht? Und: Werden wir den Kollegen gerecht? Am Montag, schildert Barbara Erdmeier, hätte sie ein Gespräch mit der Bezirksregierung, in der Hoffnung, eine – wie auch immer geartete –Lösung für das kommende Schuljahr zu finden. Barbara Erdmeier schildert darüber hinaus, dass das Gymnasium ein Kind im Rollstuhl ablehnen musste. „Viele Fachräume liegen bei uns in den oberen Stockwerken. Und zu ihnen gibt es keinen Fahrstuhl.“

INFO – Unterschriften für Erhalt der Förderschule

Udo Lange, SPD-Ratsherr und langjähriger Rektor der Grundschule Werther, brachte einen weiteren Aspekt der inklusiven Beschulung zur Sprache: dass es nämlich derzeit zwei parallele Systeme gibt –die Förderschulen auf der einen und die Inklusion an den Regelschulen auf der anderen Seite. Für einige Kinder, betonte Rolf Düfelmeyer (UWG), werde der geschützte Raum einer Förderschule immer die bessere Lösung sein. Aber wie lange noch? Bekanntlich ist die GerhartHauptmann-Schule in Halle, die auch von Wertheraner Kindern besucht wird, aufgrund rückläufiger Schülerzahlen stark in ihrem Bestand gefährdet (das Haller Kreisblatt berichtete). Inzwischen werden Überlegungen von den Trägerkommunen Halle, Werther und Steinhagen angestellt, einen Verbund mit einer Versmolder und einer Bielefelder Schule einzugehen, um auf diese Weise die Gerhart-Hauptmann-Schule zu erhalten und den Kindern eine möglichst Wohnort nahe Beschulung zu ermöglichen. Auf der Schulverbandsversammlung am kommenden Montag in Halle soll diese Möglichkeit angesprochen werden. Bürgermeisterin Marion Weike dazu: „Wir sollten alles dafür tun, die gute Arbeit, die in Halle geleistet wird, zu erhalten.“ Eine Aussage, die viele Eltern freuen dürfte, deren Kinder die Gerhart Hauptmann-Schule besuchen: Sie haben inzwischen eine Unterschriftenaktion gestartet und hoffen, dass die Schule bestehen bleiben kann.

Dabei wollen Katja Kleinemas
von der Grundschule,
Rosi Heinrich von der Gesamt-
schule und Barbara Erdmeier
vom Gymnasium keineswegs
alles schlechtreden, wie sie in der
jüngsten Sitzung des Schulausschusses
betonen. Die Schulleiterinnen
erzählen auch von
guten Erfahrungen, die sie gemacht
haben, und engagierten
Kollegen, „ohne die wir das alles
gar nicht stemmen könnten“,
wie sie hervorheben.
Be Sociable, Share!

    Kommentar schreiben

    *

    code



    Options Theme